Dieser Artikel beginnt mit einem kleinen Thought Nugget für Euch: Warum gibt es überhaupt einen International Womens´s Day und bedeutet das im Umkehrschluss, dass alle anderen 364 Tage im Jahr für Männer reserviert sind?
Viel politisches Material zur Debatte
Führen wir uns vor Augen, wofür unsere heute so schnelllebige Gesellschaft Tage wie den International Women´s Day benötigt. Dazu müssen wir zunächst ganz rudimentär klären, wozu die Menschheit allgemein sogenannte Welttage eingeführt hat. Sie sollen an internationale, historische oder aktuelle Probleme erinnern und so eine Aufwertung von gesellschaftlich relevanten Themen erzeugen. Was aber ist gesellschaftlich relevant? Sicherlich die Rolle der Frau in der Alltags- und Berufswelt, wenn man betrachtet, dass erst vor ca. 100 Jahren das Frauenwahlrecht im November 1918 seine Geburtsstunde in Deutschland hatte.
Die Rolle der Frau ist historisch schon immer ein heikles Thema gewesen und erfüllt seit jeher auch politisch hitzige Debatten. Während laut Parteiprogrammen die Linksfraktion und Grünen sich vor allem für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen einsetzen, betont die Agenda der CDU und FDP insbesondere Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen. Seitens der AfD hört man Begriffe wie „Gendergaga“ und liest im parteipolitischen Grundsatzprogramm, dass Geschlechterquoten im Studium oder in der Arbeitswelt generell abgelehnt werden. Nachdem wir alle politischen Positionen im Bundestag durchexerziert haben, kehren wir wieder zum eigentlichen Kerninhalt zurück: Der International Women´s Day. Traditionell am 8. März von den Vereinten Nationen (1975) terminiert, stellt dieser Tag symbolisch die Rechte und Gleichberechtigung der Frau in den Mittelpunkt und prangert weltweit Gewalt gegen Frauen an.
Gender Pay Gap: In Deutschland erst 2121 geschlossen?
Heute ist das Motto Women in leadership: Achieving an equal future in a COVID-19 world. Die UN zelebriert mit diesem Thema den erheblichen Beitrag von Frauen bei der Gestaltung einer gleichberechtigteren Zukunft. Gleichzeitig betonen die Vereinten Nationen die Signifikanz der Frauen als Frontkämpferinnen gegen COVID-19 als Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen und Pflegerinnen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass jene drei Berufsgruppen bei gleicher Qualifikation weltweit 11 Prozent schlechter als männliche Kollegen bezahlt werden. Dies ist nur ein Beispiel von vielen und unterliegt verschiedenen Erklärungsansätzen.
Kompakt formuliert handelt es sich bei diesem Phänomen um den Gender Pay Gap, der die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenlohn von Frauen und Männern beschreibt. Im Oktober 2020 lieferte ein Bericht der European Trade Union Conference, dass der Gender Pay Gap bei gleichbleibendem Handlungskurs in Deutschland erst 2121, also in 100 Jahren, geschlossen ist. Hierzulande entspricht der Gender Pay Gap mit ca. 22,6 % Gehaltsunterschied zu Männern auch dem dritthöchsten Index, nur Österreich (22,9 %) und Estland (28,3 %) können diese Zahl innerhalb der EU übertreffen.
Leaky Pipeline in der Consulting-Branche
Wie sieht es in der Consulting-Branche aus, in einer Branche, die sich mit so viel Diversität, Out-of-the-Box-Denken und interdisziplinären Teams brüstet?
Nachweislich sind divers zusammengestellte Teams für die Unternehmenskultur und den gesamtunternehmerischen Erfolg vorteilhaft. Trotzdem ist Gender-Diversität im Consulting, besonders auf den Führungsebenen, noch ausbaufähig. Der Frauenanteil im Management liegt in Deutschland bei 19 %, dabei ist die weibliche Einstellungsquote im Consulting-Umfeld im Durchschnitt mit 49 % weiblichen Absolventinnen doch ein solide quantitative Grundlage, um nötige Führungskräfte heranzuziehen und einzusetzen.
Ein Phänomen, welches man in diesem Kontext beobachten kann, ist die Leaky Pipeline. Wie in der linken Abbildung visualisiert wird, tropft das metaphorische Karriere-Rohrsystem (Pipeline) für Frauen immer stärker. Je höher die Karrierestufe, desto mehr Tropfen (= Frauen) fallen aus dem Karrieresystem heraus (leaky). Allgemein wird in der Wissenschaft darunter der absinkende Frauenanteil beim Durchlaufen der Karrierestufen eines Unternehmens bezeichnet. Obwohl immer höhere Bildungsabschlüsse bei Frauen vorliegen und mehr Gleichstellungs- oder Förderprogramme (gerade im MINT-Programm) sowie Mentoring-Angebote für junge Studentinnen bereits im Studium existieren, wird dieses Problem trotz eingeleiteter Gegenmaßnahmen nicht gelöst. Dies lässt die Hypothese der fortbestehenden strukturellen Ungleichheit von Männern und Frauen in der Berufswelt zu. Auch Erklärungsansätze, die mehr auf stereotypischen Zuschreibungen (Frauen seien gut in „irgendetwas mit Menschen“, z. B.: HR und Männer würden dagegen besser Strategien und „irgendetwas mit Zahlen“ erarbeiten) und weniger auf den individuellen Fähigkeiten beruhen, sind heute noch Tenor. Erfreulicherweise sieht man auf der anderen Seite heute oft, dass viele Unternehmensberatungen mit Coaching-Programmen, Diversity Management oder der Sichtbarkeit von weiblichen Role Models diesem Problem proaktiv entgegenwirken möchten.
Im BDSU ist das Amt der 1. Vorsitzenden seit 2013 fast ausschließlich mit weiblichen studentischen Unternehmensberaterinnen besetzt. Aktuell ist mit Janina Höniges (1. Vorsitzende) und Eliza Mertins (2. Vorsitzende) in der Übergangsphase noch eine weibliche Doppelspitze im Vorstandsgremium besetzt, während ab Mai 2021 drei von vier Vorständen weiblich sein werden. Auch wenn Janina in diversen Praktika- und Werkstudententätigkeiten schon Sätze wie „Ach, Sie haben Ihre Sekretärin zum Protokollieren mitgenommen“ gehört hat (obwohl man zusammen vor dem Kunden pitcht), sieht sie der Zukunft der Consultingbranche positiv entgegen: Sie freut sich umso mehr, dass immer mehr Frauen in der Welt der Unternehmensberatung Fuß fassen, sich ihren Platz einstehen und als Vorbild für viele andere Frauen leben und handeln. Auch Eliza, aktuell 2. Vorsitzende des BDSU, ist in ihrer Karriere typischen Vorurteilen oder Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts begegnet, dennoch spricht sie sich klar für die Neutralität und den Leistungsgedanken im BDSU als einzig entscheidende Maßgröße für Erfolg aus: „Ich wurde zu keiner Zeit daran gemessen, ob ich Frau oder Mann war”. (Weiterführendes zur Situation von Frauen in studentischen Unternehmensberatungen findet ihr hier.)
Nicht alles ist immer gleich schlecht: Der Instinkt der Negativität
Nimmt man Daten zur Hand und interpretiert diese richtig, so lassen sich aus scheinbar frustrierenden Aussichten vielversprechende und hoffnungsvolle Hypothesen ableiten. Ein Beispiel (Quelle: College Board | Factfulness by Hans Rosling):
Die linke Grafik (Ansicht A) lässt vermuten, dass ein konstantes Defizit bei Frauen in den mathematischen Fähigkeiten vorliegt (gemessen am Punktevergleich von Männern und Frauen im amerikanischen Zulassungstest für Hochschulen). Ansicht B zoomt anschließend durch eine unschärfere Skalierung der Vertikalachse aus dem Bild heraus: Wir nehmen dieses anfangs deutliche defizitäre Muster der mathematischen Fähigkeiten von Frauen fast nicht mehr wahr. Viel eher sehen wir, dass Männer und Frauen fast identisch gut beim Zulassungstest abschneiden und damit ähnliche mathematische Fähigkeiten besitzen. Und im dritten Bild, in dem wir statt dem Durchschnittsbild die Bandbreite der mathematischen Fähigkeiten bezüglich eines bestimmten Jahres (2016) ansehen, wird deutlich, dass es keine Kluft, sondern eine Überschneidung hinsichtlich der mathematischen Fähigkeiten zwischen Männern und Frauen gibt.
Auch wenn Bundeskanzlerin Merkel in ihrer jüngst vergangenen Aussage einen Nerv, besonders in Zeiten von Corona, trifft, lassen wir uns gerne von Extrembeispielen leiten. Ehrlicherweise ist aber ein zweiter Blick wie im obigen Beispiel genauso hilfreich, um nicht sofort dem Instinkt der Negativität zu verfallen.